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Zur aktuellen Diskussion zu ärztlichen Hausapotheken

Branchen News vom 15.04.2016

Dr. Thomas Czypionka, Leiter IHS HealthEcon

Wien (OTS) – Die aktuelle Diskussion um die Ausweitung von Hausapotheken lässt nicht unerhebliche Nebenwirkungen außer Acht. Die Ausweitung der Hausapotheken setzt Anreize zur Überverordnung zu Lasten der öffentlichen Hand und führt zu einer Ausdünnung der Vollversorgung mit Arzneimitteln in der Peripherie. Eine Attraktivierung der ärztlichen Versorgung im ländlichen Bereich sollte innerhalb des Honorarsystems erfolgen, nicht durch die Stärkung von Nebeneinkünften im Sinne der Hausapotheken.

Zum Stichtag 31.12.2015 existierten 1.340 öffentliche Apotheken, 28 Filialapotheken und 871 ärztliche Hausapotheken. Somit werden knapp 40% der Arzneimittelabgabestellen von ÄrztInnen betrieben.

Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen seines ordnungspolitischen Auftrages grundsätzlich frei, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung auf bestimmte Berufsgruppen zu verteilen. Es sollten jedoch behutsam gesundheitsökonomische Vor- und Nachteile einer Verlagerung der Versorgungsfunktion hin zu ärztlichen Hausapotheken abgewogen werden. Das Prinzip der Trennung zwischen der verschreibenden und dispensierenden Hand im Gesundheitswesen macht ordnungspolitisch Sinn.

Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten wurde den österreichischen LandärztInnen die Medikamentenversorgung zugesprochen. Diese Regelung hat ihre Berechtigung in Regionen ohne Überlebensfähigkeit einer öffentlichen Apotheke. Frühere Gesetzgeber betonten diese bloße Surrogat-Funktion der ärztlichen Hausapotheken für die Arzneimittelversorgung und hatten damit nicht eine Honorarkompensation für medizinische Leistungen im Sinn.

Der jüngst eingebrachte Initiativantrag der Regierungspartner sieht eine Erweiterung des Schutzgebietes der ärztlichen Hausapotheken vor, um die Landflucht der HausärztInnen durch zusätzliche Einkünfte zu verhindern. Nach unserer Einschätzung ist diese ordnungspolitische Maßnahme suboptimal, da sie den ÄrztInnen monetäre Anreize für eine sogenannte angebotsinduzierte Nachfrage („supplier-induced demand“) setzt. Die Folge kann ein „Überverordnen“ von Arzneimittel zu Lasten der öffentlichen Gesundheitsausgaben sein.

Diese gesundheitspolitisch negativen Effekte können ein nicht zu vernachlässigendes Ausmaß annehmen, wie zum Beispiel zwei Studien aus der Schweiz unlängst zeigten: In etlichen Deutschsprachigen Kantonen wurde in den letzten Jahren teilweise das ärztliche Dispensierrecht eingeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass bei den ÄrztInnen mit Hausapotheke die Arzneimittelkosten pro PatientIn um ein Drittel höher liegen [Kaiser & Schmid (2014) Health Economics]. Die Generika-Quote liegt zwar bei den ÄrztInnen mit Hausapotheke höher, jedoch liegt die Gewinnspanne pro Dosis trotzdem um 5-10% höher als im Vergleich zu verordnenden ÄrztInnen ohne Hausapotheke [Rischatsch (2014) European Journal of Health Economics].

Ein weiterer Aspekt ist der geringere Versorgungsgrad der Hausapotheken. Sie weisen eine geringere Lagerhaltung von Arzneimittel, einen niedrigeren Belieferungsgrad und geringere Öffnungszeiten auf, sodass Hausapotheken einer öffentlichen Apotheke versorgungstechnisch unterlegen sind und den ordnungspolitischen Versorgungsauftrag nur teilweise erfüllen können. Folglich ist die ländliche Bevölkerung auf öffentliche Apotheken angewiesen, auch wenn diese sich nicht in ihrem eigenen Wohnort befinden.

Der geplante Gesetzeseingriff könnte die Arzneimittel-Infrastruktur zu Gunsten der Hausapotheken verschieben, sodass sich dies mittelfristig auf die Versorgungsdichte der öffentlichen Apotheken in ländlichen Gebieten negativ auswirken wird. Der Versorgungsgrad von bspw. seltenen und teuren Arzneimittel (sog. „Hochpreiser“) würde sich dadurch paradoxerweise verringern. Vor allem denjenigen Regionen mit zukünftigem Bevölkerungswachstum droht eine suboptimale Arzneimittelversorgung.

Zusammenfassung:

Die geplante Gesetzesänderung wird voraussichtlich zwar zu einer Verbesserung der Teilversorgung, jedoch zu einer Verschlechterung der Vollversorgung der ländlichen Bevölkerung mit Arzneimittel führen. Zusätzlich können „Überverordnungen“ der Hausapothekenführenden Ärzte die öffentliche Hand belasten.

Grundsätzlich ist eine Stärkung der medizinischen Versorgung in weniger dicht besiedelten Gebieten zu befürworten. Jedoch sollte die Attraktivierung der ländlichen Ordinationen neben nichtmonetären Anreizen innerhalb des Honorarsystems erfolgen und nicht durch eine Ausweitung von ärztlichen Nebeneinkünften, die zu Interessenskonflikten führt.

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Dr. Thomas Czypionka, Leiter IHS HealthEcon
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