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Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 6. August 2015; Leitartikel von Mario Zenhäusern: „Krankes Gesundheitssystem“

Branchen News vom 06.08.2015

Innsbruck (OTS) – Wenn Land und Bund nicht endlich die Ärzteausbildung reformieren und die Beschäftigungsmodelle an die Bedürfnisse der Betroffenen anpassen, steht in zehn Jahren jede zweite Gemeinde ohne Allgemeinmediziner da.

Wer mit der medizinischen Versorgung der Tiroler Bevölkerung unzufrieden ist, jammert auf hohem Niveau. Tatsache ist, dass die Tiroler Ärzteschaft und die Krankenanstalten im Land immer noch zu den besten in Europa und darüber hinaus zählen.
Trotzdem müssten seit einiger Zeit bei sämtlichen Verantwortlichen die Alarmglocken schrillen. Wenn in den Krankenhäusern Operationen auf die lange Bank geschoben werden müssen, weil kein Arzt verfügbar ist, dann ist das nur ein erstes Anzeichen, wie fehlerhaft unser System ist. Weit dramatischer als im klinischen Bereich ist die Situation nämlich bei der medizinischen Versorgung der Landbevölkerung. Bereits 2014 warnte Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger, dass in zehn Jahren die Hälfte aller Landärzte in Pension gehen wird und es bereits jetzt Probleme bereitet, offene Stellen nachzubesetzen. Nicht nur in der Wildschönau, wo seit einem Jahr versucht wird, zwei Landärzte für 4000 Pflichtversicherte zu finden. Nein, auch in anderen Teilen Tirols ist das Echo auf Stellenausschreibungen enden wollend. Meist tendiert es wie in der Wildschönau gegen null. Und nicht nur bei Landärzten: Ähnlich große Probleme bereitet die Neubesetzung von Facharztstellen (Kinderärzte, Psychiater etc.). In Kufstein endete dieser Tage die fünfte Suche nach einem Hautarzt ergebnislos.
Dramatisch droht die Situation am Land zu werden. In zehn Jahren fehlen in Tirol an die 100 Allgemeinmediziner. Diese Tatsache ist sämtlichen Verantwortlichen spätestens seit dem Weckruf Wechselbergers vor einem Jahr bekannt, ohne dass es zu nennenswerten Gegenreaktionen gekommen wäre. Noch immer versuchen Gebietskrankenkasse, Ärzte- bzw. Apothekerkammer und betroffene Gemeinden, Einzel-Probleme zu lösen – mit bescheidenem Erfolg übrigens, wie das Beispiel Wildschönau zeigt. Die Ursache der Misere bleibt unangetastet: unser Gesundheitssystem, das von veralteten Voraussetzungen ausgeht, den Interessenvertretungen zu viel Macht einräumt und nicht oder kaum auf die Bedürfnisse jener eingeht, die es betrifft. Die Vorstellungen der angehenden Mediziner von ihrem Beruf unterscheiden sich nämlich grundlegend von jenen ihrer Vorgänger.
Es ist Aufgabe von Land und Bund, hier endlich einzugreifen. Insbesondere gilt es, die Ärzteausbildung neu zu gestalten, damit in zehn Jahren nicht jede zweite Gemeinde ohne Landarzt dasteht. Genau in diese Richtung fährt der Zug derzeit nämlich.