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„Die Presse“-Leitartikel: Gestatten, selbstständig, wo darf ich bezahlen? von Jeannine Hierländer

Branchen News vom 31.07.2012

Wien (OTS) – Die SVA will Unternehmer mit finanziellen Anreizen zur Vorsorge motivieren. Gute Idee. Auch, wenn damit nur von den eigentlichen Problemen abgelenkt wird. Die Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft hat es also gewagt – und ihre Kunden vor die Wahl gestellt. Wer sich für ein gesünderes Leben entscheidet und damit auf Dauer die Allgemeinheit entlastet, kann sich so Geld ersparen. Dafür müssen die Versicherten gemeinsam mit ihrem Arzt Gesundheitsziele vereinbaren und diese auch einhalten. Solche Ziele können mehr Bewegung, weniger Alkohol oder Gewichtsreduktion sein. Wer sie erreicht, muss beim Arzt nur noch zehn statt regulär 20 Prozent Selbstbehalt berappen. Die rund 700.000 SVA-Versicherten müssen nämlich, wie auch die Beamten, schon bei einem einfachen Arztbesuch einen Teil der Kosten selbst übernehmen. Anders als Angestellte, für die ein Selbstbehalt erst in der Apotheke oder bei Kuraufenthalten fällig wird.

Die Reaktion der SPÖ auf den „neuen Weg“ der SVA kam nicht überraschend. Gesundheitsminister Alois Stöger kann mit dem Anreizsystem der SVA nichts anfangen. Es sei eine „Bestrafung der Kranken“, wenn diese beim Arzt mehr als gesunde Patienten bezahlen müssen. Aber Stöger ist nicht nur gegen das Bonussystem, sondern generell für die Abschaffung von Selbstbehalten. Die ideologischen Gräben, die sich bei dem Thema zwischen SPÖ und ÖVP auftun, sind die eine Sache. Doch beim Thema Selbstständigenversicherung gibt es viele Baustellen, die vor allem für Kleinunternehmer und „Ich-AGs“ zunehmend zum Problem werden. Die heimischen Selbstständigen verkommen immer mehr zu den Melkkühen der Nation. Und damit scheint weder Gesundheitsminister Stöger noch der gesetzliche Unternehmervertreter Christoph Leitl ein Problem zu haben.

Ein Beispiel dafür ist der Mindestbeitrag zur Sozialversicherung, der vor allem für sogenannte EPU, also Ein-Personen-Unternehmen, zur existenziellen Bedrohung werden kann. Jeder SVA-Versicherte (es sei denn, er ist aus triftigen Gründen davon befreit) muss für Pensions-, Kranken- und Unfallversicherung zunächst einmal rund 2000 Euro pro Jahr in die Kasse einzahlen. Auch, wenn ihn sein Verdienst in die Nähe der Armutsgrenze treibt. Ein zweites Problem sind die hohen Nachzahlungen: Erst wenn der Steuerbescheid vorliegt, berechnet die SVA ihre Forderung für das betreffende Jahr. Diese Kosten fallen aber in der Regel erst mit drei Jahren Verspätung an. Wenn dann in einem schlechten Jahr plötzlich ein paar Tausender Nachzahlung ins Haus stehen, ist die Pleite vorprogrammiert. Eine weitere Absurdität ist, dass Selbstständige auch dann zur Kasse gebeten werden, wenn sie aufgrund eines Angestelltenjobs eigentlich schon bei der Gebietskrankenkasse versichert sind. Dann können sie beim Arzt wählen, über welche Versicherung verrechnet wird. Viele entscheiden sich natürlich für die GKK, weil dabei kein Selbstbehalt berechnet wird. Der Versicherte nimmt die Leistungen der SVA damit zwar nicht in Anspruch, einzahlen muss er aber trotzdem.