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Alarm für Senioren: ELGA kommt, der Hausarzt geht?

Branchen News vom 27.05.2014

Diskussionsabend des Österreichischen Hausärzteverbands Alarm für Senioren: ELGA kommt, der Hausarzt geht?

Wien (OTS) – Der Österreichische Hausärzteverband veranstaltet am 17. Juni einen Diskussionsabend über die höchst problematischen Konsequenzen von ELGA und Gesundheitsreform für ältere Menschen. Für einen notwendigen Kurswechsel in der heimischen Gesundheitspolitik ist es fünf Minuten nach zwölf, ist man beim Österreichischen Hausärzteverband (ÖHV) überzeugt. Innerhalb von drei Jahrzehnten halbierte sich die Hausärztequote hierzulande auf nur mehr neun Prozent. Ärztliche Urfunktionen drohen in einer alles überwuchernden Gesundheitsbürokratie unterzugehen. Mit der elektronischen Gesundheitsakte ELGA wurde ein neuer Meilenstein auf dem Weg ins Desaster gesetzt. Statt ausführliche Gespräche mit Patienten zu führen, vergeudet der Kassen-Allgemeinmediziner künftig die Zeit mit der Suche nach alten, unsortierten ELGA-Befunden, so der ÖHV.

Genug Zündstoff also für einen spannenden Diskussionsabend, der am 17. Juni vor allem den Folgen dieser Entwicklung für die ältere Generation gewidmet ist. Diese sind von der Misere in besonderem Maße betroffen. Laut Statistik besuchen mehr als 90 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher über 60 Jahren regelmäßig eine Hausarztpraxis, die Anzahl der Ordinationsbesuche ist in dieser Altersgruppe mehr als doppelt so hoch wie im Schnitt der Bevölkerung.

Senioren ohne Computererfahrung

„Der Bogen ist freilich weit gespannt. Da gibt es jene, die mit Seniorenverbänden in hundertfacher Gesellschaft alljährlich komfortable Auslandsreisen unternehmen. Und jene, die darunter leiden, dass die Sozialversicherung kein Fahrgeld zu medizinischen Einrichtungen in die Bezirkshauptstadt mehr bezahlt“, betont Hausärzte-Präsident Dr. Christian Euler. „Wir Hausärzte sind durch unsere tägliche Arbeit in diesem Bogen sehr eindeutig positioniert, bei den politischen Seniorenvertretern bin ich mir da nicht so sicher“, so Euler. Selbst eine Zweidrittelmehrheit elektronik- und computerferner Seniorinnen und Senioren sei für diese nämlich offenbar kein Anlass, die Sinnhaftigkeit einer elektronischen Gesundheitsakte für ihr Klientel zu hinterfragen.

Um die eigenen Gesundheitsdaten künftig zu verwalten, ist ein PC mit Internetanschluss, eine Bürgerkarte oder Handysignatur zwingend notwendig. Nur eine absolute Minderheit der älteren Menschen verfügt jedoch über eine solche Ausstattung. Bedenkt man, dass nicht einmal zehn Prozent der Senioren E-Banking betreiben, erübrigt sich die Diskussion über die Daten-Selbstverwaltung. Fast noch ein Glück, wie ÖHV-Sprecher Dr. Wolfgang Geppert meint, denn sonst müsse der Aufnahmearzt oft wie ein Kriminalbeamter ausgeblendete oder gelöschte Befunde eruieren, die auf Diagnose und Therapie entscheidenden Einfluss haben könnten.

Keinerlei Datensicherheit

Zudem haben auch die Senioren längst erkannt, dass ihnen in Sachen Datenschutz von den ELGA-Betreibern Sand in die Augen gestreut wird. Seit NSA und BIFIE-Datenleck ahnt, ja weiß man, dass bei 100.000 Zugriffsberechtigten ein Datenmissbrauch nicht ausgeschlossen werden kann, selbst wenn Strafe angedroht wird. „Besonders bedenklich bei ELGA ist die Zwangsverpflichtung aller Patienten“, betont Dr. Hans Zeger, Obmann der ARGE Daten, der darin eine glatte Verletzung der europäischen Datenschutzgrundsätze sieht: „Zustimmung setzt Information und die freiwillige Willenserklärung des Betroffenen voraus.“

ELGA diene, so Zeger, viel mehr als Projektionsfläche zur Lösung zahlreicher Probleme im Gesundheitswesen: überlastete Ärzte, lange Wartezeiten, verweigerte Behandlungen, unverständliche Therapien, zu wenig Kommunikation, Doppelgleisigkeiten. Solange aber von ELGA nur millionenschwere Konzepte, vage Ideen und Zukunftsprojektionen existieren, sollten Patienten davon Abstand nehmen, statt Technikern und Bürokraten ein Feld zum Experimentieren mit ihren Gesundheitsdaten zu überlassen.

Hausarzt oder Selbstbedienungsladen?

Seniorenrats-Präsident Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol lässt im Vorfeld des mit Spannung erwarteten Diskussionsabends wissen, dass für Österreichs Seniorinnen und Senioren der Hausarzt von besonderer Bedeutung ist. „Ihm vertrauen wir. Daher muss bis zur Jahresmitte das Hausärzte-NEU-Paket der Bundesregierung erstellt und sogleich umgesetzt werden. Dabei soll der Hausarzt zum zentralen Angelpunkt der Patientenversorgung werden.“

Die Hausärzte orten darin ein Lippenbekenntnis. „Das heimische Gesundheitssystem ist in Wahrheit zum Selbstbedienungsladen verkommen. Herr und Frau Österreicher steuern nach Belieben Spitalsambulanzen und niedergelassene Spezialisten an“, verdeutlicht Hausärzte-Sprecher Geppert. Die unkoordiniert durch das System stolpernden Patienten benötigen dringendst die Koordination durch den Hausarzt und nicht durch ständig wechselnde Ansprechpartner in „Gesundheitszentren“, durch Apotheker oder durch „Dr. Google“. Die Bestrebungen der Gesundheitsreform mit ihrer Speerspitze ELGA zielen freilich massiv in die Gegenrichtung.