Wilke Jens

EuGH-Entscheidung – was sind die Folgen?

von Wilke Jens in Allgemein, Analysen, Finanzierung & Finanzdienstleistung

Man kann dem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 30.06.2016 von vielen Seiten betrachten. Mag sein, dass die ersten Reaktionen am Markt überzogen waren. Mag sein, dass es „alles nicht so heiß gegessen wie gekocht wird“ und es eine typisch österreichische Lösung geben wird – eines ist jedoch klar: der EuGH-Beschluss wird Veränderungen bringen. Veränderungen zunächst bei der Umsetzung in die nationale Gesetzgebung (wie schnell auch immer diese Umsetzung und in welcher konkreten Form auch immer), aber auch andere weitreichende Veränderungen – und zwar am im „daily business“ unseres Apothekenmarktes – und das ab dem Bekanntwerden des Beschlusses – also bereits im Hier und im Jetzt.

Denn egal wie und in welcher Form der Beschluss auf europäischer Ebene nun in nationales Gesetz überführt wird, er hat zwei wesentliche Folgen:

  1. Unsicherheit am Apothekenmarkt und damit einhergehend
  2. fehlende Planbarkeit für alle Systempartner im Apothekenbereich

 

Was heißt das nun konkret?

Jeder Markt und sicher auch der Apothekenmarkt ist seit jeher Veränderungen unterworfen gewesen. Egal ob Versandhandel, Abwanderung von Sortimentsbereichen in andere Vertriebskanäle oder sinkende Margen im Kassenbereich, u.s.w. – diese Veränderungen gibt es und sie wird es auch weiterhin geben. Die nun anstehende Veränderung der Bedarfserhebung schlägt jedoch ein neues und meines Erachtens deutlich weitreichenderes Kapitel auf. Denn die bisherige Regelung der Bedarfsprüfung fußte auf klar messbaren und weitgehend nachvollziehbaren Kriterien – damit gab es innerhalb einer entsprechenden Bandbreite weitgehende Planungssicherheit für alle Marktteilnehmer und deren Partner. Dies ist nun (vorerst) Geschichte.

Die Planungssicherheit schwindet nun signifikant – mit fünf prognostizierbaren Konsequenzen.

1. Der Geschäftswert von Apotheken wird sinken

Die Zeiten in denen für Apotheken 130% (Bemessungsgrundlage hochpreiserbereinigter Jahresumsatz) und mehr bezahlt wurden, sind vermutlich vorbei. Bis dato war Finanzierbarkeit solcher Projekte bei entsprechend hoch angesetzter Potenzialvorstellung vom Projekt und Langfristigkeit der Finanzierung (in der Regel meist 15 Jahre) darstellbar. Projekte müssen sich zukünftig rascher und betriebswirtschaftlich mit mehr Luft (auf Basis der Variabilität in der Standortfrage) rechnen lassen. Alles andere grenzt betriebswirtschaftlich gesehen an russisches Roulette.

2. Die Finanzierung von Apothekenprojekten wird schwieriger

War es bis dato durchaus üblich auch große Apothekenprojekte mit keinem oder nur geringem Eigenkapitalanteil zu finanzieren, so wird dies zukünftig wohl nur noch schwer und in wenigen Einzelprojekten umsetzbar sein. Während Unternehmer chancenorientiert handeln, denken Banken risikoorientiert und die aktuellen Veränderungen am Markt erhöhen die Risiken für die finanzierende Banken deutlich (gerade mit den bisher üblichen längeren Finanzierungszeiträumen von 15 Jahren). Eine mögliche Verkürzung der Finanzierungslaufzeit auf 10 Jahre oder weniger macht viele Projekte allein schon auch aus Sicht der Liquidität nur noch schwer finanzierbar. Die Rolle des Großhandels und seine bisher als marktüblich geltende Funktion als Ausfallsbürge wird vermutlich auch neu definiert – ganz sicher ist aber, dass auch der pharmazeutische Großhandel Projekte bereits in der Rolle des Ausfallsbürgen noch genauer und kritischer evaluieren wird als bisher. Eine Reduktion der Höhe der Ausfallsbürgschaft ist denkbar und wird die Rahmenbedingungen für die Finanzierung von Apothekenkaufprojekten zusätzlich anspannen.

3. Detaillierte Projektevaluationen und Machbarkeitsstudien werden noch wichtiger

Wer zukünftig darüber nachdenkt eine bestehende Apotheke zu kaufen, ist gut beraten das Projekt sehr fundiert evaluieren zu lassen. Detaillierte Geomarketinganalysen sowie eine von Marktkennern erstellte realistische (!) Planrechnung inklusive einer Liquiditätsbetrachtung und realistischen nun niederer angesetzten Firmenwertentwicklungen sollten fixer Bestandteil einer Projektmachbarkeitsstudie sein – denn spätestens bei der Bank wird diese gefordert werden – und das detaillierter und kritischer als bisher.

4. Mehr Chancen auf Neugründungen

Kein Schatten ohne Licht… Man kann davon ausgehen, dass sich aufgrund der EuGH-Entscheidung neue Chancen für Neugründungen ergeben werden. Vermutlich vermehrt im ländlichen Raum, d.h. wer örtlich flexibel ist, wird zukünftig mehr Chancen haben, sich an attraktiven Standorten selbständig zu machen. Die unter Punkt 3 genannten Kriterien gelten klarerweise auch für Neugründer.

5. Der betriebswirtschaftliche Fokus wird noch wichtiger

Egal ob aus der Position bestehender Apotheken oder auch Sicht derjenigen, die den Schritt in die in die Selbständigkeit planen – es wird noch wichtiger werden, den Blick für die betriebswirtschaftlichen Komponenten der Apotheke zu schärfen. Auf strategischer Ebene gilt es dabei, das vorhandene Standortpotenzial und dessen Ausschöpfung zu analysieren, über mögliche Betriebsstättenverlegungen nachzudenken und die eigene Ausrichtung der Apotheke inkl. vorhandener Alleinstellungsmerkmale (Entwicklung und Kommunikation an den Kunden) verstärkt zu erarbeiten und umzusetzen. Aus operativer Sicht gilt es, den Apothekenbetrieb möglichst effizient aufzustellen, die betriebswirtschaftliche Luft wird noch dünner, d.h. auch das Kostenmanagement ist entsprechend zu forcieren – und das Ganze bei Erhalt der pharmazeutischen Qualität an der Tara… Ein Spagat, der für alle Beteiligten viele Herausforderungen bereit hält.

Alles Gute hierbei wünscht Ihnen

Ihr Jens Wilke

If there’s one thing that’s certain in business, it’s uncertainty.
Stephen Covey, Autor